„Der Erinnerung zum Trotz! Ob China immer noch an Mao glaubt?“
Am Donnerstag, den 13. September 2018, eröffnete die renommierte Sinologin Frau Prof. Barbara Mittler von der Universität Heidelberg mit ihrem Vortrag die Film-, Konzert- und Vortragsreihe „Facetten des Erinnerns: 1968 Global – China und die Welt“ zur gleichnamigen Ausstellung im Völkerkundemuseum Heidelberg. Angesichts der paradoxen Tatsache, dass sowohl die Regierung der Volksrepublik China als auch Demonstranten regelmäßig ihre Überzeugungen und Taten mit Mao Zedong begründen, Maos Konterfei am Tor des Himmlischen Friedens prangt und sich das Bild des Staatsgründers als Teil einer modernen Pop-Kultur auf T-Shirts von Jugendlichen findet, stellte Frau Prof. Mittler die Frage: „Der Erinnerung zum Trotz! Ob China immer noch an Mao glaubt?“
Insbesondere vor dem Hintergrund des Jahres 1968, dem Höhepunkt der sogenannten „Großen Proletarischen Kulturrevolution“, mag die heutige Verehrung Maos verwirren. Warum Mao der „Erinnerung an diese Zeit zum Trotz“ heute von zahlreichen Chinesen positiv bewertet wird, erklärte sie anhand von 3 Aspekten: Die subjektive, die totale und die lange Erfahrung.
Die subjektive Erfahrung untersucht das Zusammenwirken von Propaganda und den rezipierenden Menschen. Denn nicht immer wirkt Propaganda so, wie sie gedacht ist. Beispielsweise wurde zahlreichen bäuerlichen Analphabeten beigebracht, Philosophen wie Konfuzius zu lesen, um diesen zu kritisieren und die Rückständigkeit alten Gedankenguts aufzuzeigen. Das Ergebnis war allerdings, dass die Gedanken von Konfuzius Verbreitung auch unter nicht gebildeten Schichten fanden. Für einige lag darin die Chance, bildungsfernen Umgebungen zu entkommen und später Universitäten zu besuchen. Viele lernten in dieser Zeit Lesen und Schreiben.
In der totalen Erfahrung spielt der Aspekt eine Rolle, dass sich einige Zeitzeugen vor allem an die Kunst wie die Aufführungen von sogenannten Modellstücken (nach Vorbild der Peking-Oper) oder das gemeinsame Singen von Revolutionsliedern erinnerten. Es gab damals viele Möglichkeiten, sich künstlerisch auszuleben und in den Revolutionsgruppen Gemeinschaft zu finden. Gleichzeitig war intellektuelle Literatur aus dem Westen oder klassische chinesische Literatur über Umwege oder auf dem Schwarzmarkt beschafft stärker präsent in dem Alltagsleben vieler Chinesen als gemeinhin angenommen. Der politische Gehalt der Maozeit verschwand in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend aus der Erinnerung vieler Chinesen.
Dafür verantwortlich ist auch der letzte Aspekt: die lange Erfahrung. Statt etwas Neues zu schaffen bediente sich die Propaganda-Kunst vor allem bereits vorhandener Kunstformen und Literatur, die sie lediglich leicht veränderte. Die Volkstraditionen und die Kultur des Landes blieben erhalten, weswegen diese Art der Propaganda bis heute Erfolg hat und sich kaum Widerstand formte.
Frau Prof. Mittler beantwortete ihre Eingangsfrage daher folgendermaßen: Maos Bild bleibt ein mächtiges, wobei dieses sowohl vom chinesischen Volk als auch von der Regierung in seiner Bedeutung vorangetrieben wird. Die Veranstaltung endete mit einer anregenden Diskussion.
Hier finden Sie die Veranstaltungsankündigung und eine ausführliche Biographie von Frau Prof. Mittler.