Worin noch niemand war – Rurale Räume im interkulturellen Vergleich – Lesung mit LUO Lingyuan

Wissenschaftliche Tagung an der Universität Heidelberg (Hybrid-Format)

Seit etwa zehn Jahren entwickelt sich in Deutschland eine ‚Neue Regionalliteratur‘, die den Gegensatz von Stadt vs. Land bzw. Dorf in neuer Weise thematisiert: Weder zeigt sie die heilende Landschaft, in die sich verletzte Zivilisationsmüde zurückziehen, noch den Aufbruch in den sozialistischen Musterdörfern oder die hintergründige Gewalttätigkeit bäuerlichen Lebens in der Provinz. Stattdessen ist diese Literatur – darunter so erfolgreiche Texte wie der mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Roman Vor dem Fest (2014) von Saša Stanišić oder Juli Zehs Unterleuten (2016) – eng verzahnt mit den Diskursen der Soziologie, Stadtplanung und Regionalgeschichte. Beobachten lassen sich v.a. neue Raumtypen, die als Folge eines gewollten Strukturwandels entstanden sind. Durch die Verschränkung städtischer und ländlicher Strukturen entstehen Übergangsbereiche zwischen Land bzw. Dorf und Stadt, die die Vorstellung vom Land bzw. seiner Besiedlungsform Dorf als geschlossenem, naturnahen Gefühlsraum verändern. Zweifelsohne vollzieht sich ein Wandel in dieser Lebenswelt, in der weiterhin etwas gesucht wird, das – um Ernst Blochs berühmtes Zitat aufzunehmen – „allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war […].“

Die Konzeption dieser Konferenz wollte über eine literarische Bestandsaufnahme hinausgehen und ausgreifen auf die sich seit den 1960er Jahren vollziehenden sozialhistorischen und ökonomischen Veränderungen zwischen Stadt und Land. Ziel war es, Bausteine für eine Phänomenologie des sozialen Wandels zusammenzutragen. Insbesondere der vergleichende Ansatz sollte länderspezifische Besonderheiten als auch gesellschaftsübergreifende Gemein-samkeiten sichtbar machen. Der Fokus lag dabei auf problemorientierten Vorträgen, die jeweils einen Ausblick auf zu erwartende Entwicklungen erlauben.

Der Konferenztag schloss mit der Lesung der chinesisch-deutschen Autorin LUO Lingyuan (Berlin). Sie erlebte ihren ersten Erfolg 2007 mit einem Erzählband (ausgezeichnet mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis), in dem eine Beschreibung dörflichen Lebens in China enthalten war: Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock! Sie laß einen unveröffentlichten Text zum Thema der Konferenz vor und führte anschließend ein Podiumsgespräch. Mit der Lesung sollte die besondere Rolle der Erzählliteratur, die historische Veränderungen eindrücklich in den gesellschaftlichen Diskurs einschreiben und so in Erinnerung halten kann, in die Praxis der Konferenz eingeholt werden.

Konferenz-Programm

Donnerstag, 05. Oktober 2023

Sektion 1: raum und Biographie als Instanzen des Wandels

10.00-10.30Gertrud Maria RÖSCH (Heidelberg) Eröffnung
10.30-11.00Thomas DÖRFLER (Jena): Vom Land in die Stadt und zurück. Die Wohn- und Arbeitspräferenzen der Wissensgesellschaften im Epochenumbruch
11.00-11.30Gertrud Maria RÖSCH (Heidelberg): Lob des Herkommens. Erinne-rungen an ein Aufwachsen auf dem Land in der Gegenwartsliteratur
11.30-12.00YANG Zhijun (Shanghai): Zur Inkarnation des ländlichen Raums in der anti-idyllischen Heimatliteratur Österreichs
12.00-13.30

Mittagspause

Sektion 2: Der ländliche raum in der Literatur

Präsenz und Digital
13.30-14.00LIU Dongyao (Beijing): Vom Dorf zur Welt – Land und Stadt bei Fried-rich Dürrenmatt
14.00-14.30LIU Yang (Chongqing): Zur wissenschaftlichen Konstruktion des rura-len Raums in Adalbert Stifters Der Nachsommer.
14.30 – 15.00Bernd ZEGOWITZ (Frankfurt): Der wilde Osten. Karl Mays Erzgebirgi-sche Dorfgeschichten
15.00 – 15.30TAN Yuan (Wuhan): Der goldne Spiegel und die orientalischen Erzählungen in der Literatur der Aufklärung.

Abschluss-Diskussion, danach Pause

20.00

Lesung mit LUO Lingyuan (Berlin)

Präsenz und Digital, Center for Asian and Transcultural Studies (CATS), Universität Heidelberg