Nobelpreisträger Mo Yan gelesen von Katharina Schütz
Nobelpreisträger Mo Yan gelesen von Katharina Schütz
Mit einer Einführung von Prof. Dr. Barbara Mittler
- Termin: Mittwoch, 09. April 2014
- Uhrzeit: 20.00 Uhr
- Ort: DAI Heidelberg, Sofienstraße 12, 69117 Heidelberg
- Eintritt: 8 €, ermäßigt 6 €, Mitglieder 4 €,
Skurril, komisch, scharfzüngig und manchmal böse waren die Passagen, die Katharina Schütz aus den Werken Mo Yans dem gespannten Publikum vortrug. In der Lesung ließ sie die Figuren aus Mo Yans Büchern lebendig werden und versetzte den Zuhörer mitten ins Geschehen. Sowohl als Erzählerin mit spöttischem Unterton als auch als hysterische Mutter wie auch mit dem lautem I-Ah eines Esels zeigte sie sich erstaunlich vielseitig. Schütz las Ausschnitte aus den Büchern “Der Überdruss”, “Frösche” und “Die Schnapsstadt” sowie die Kurzgeschichte “Der Jungfernflug”.
Zu Beginn der Lesung, die in Kooperation mit dem Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg stattfand, griff Barbara Mittler, Professorin für Sinologie in Heidelberg, die Debatte auf, die sich in Deutschland als Reaktion auf die Vergabe des Literaturnobelpreises an Mo Yan 2012 entzündet hatte. Der Vorwurf lautete, Mo Yan sei ein „Staatsschreiber“, der sich nicht für Unterdrückte einsetze und Zensur akzeptiere. In den Medien wurden die in Deutschland weitgehend bekannten “Dissidenten” Liao Yiwu und Ai Weiwei gerne zitiert, die sich über die Auszeichnung Mo Yans empörten. Aber es wurde häufig nicht genau hingehört, was Mo Yan tatsächlich gesagt hatte. So hatte er sehr wohl seinen Wunsch ausgedrückt, Liu Xiaobo möge so bald wie möglich wieder seine Freiheit bekommen. Sein häufig zitierter Vergleich von Zensur und Sicherheitskontrollen enthält sehr wohl Kritik an Zensur, aber auch den Hinweis, dass es diese in jedem Land gebe und sie die Wahrheit nicht behindern dürfe. Er selbst rechtfertigte sich mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit in China Mitglied des staatlichen Schriftstellerverbands zu sein, um Zugang zum Sozialversicherungssystem zu erhalten. Daher habe er zwar Verständnis für die Kritik von Ausländern, nicht aber für die seiner Landsleute, welche die Lage in China kennten. Auch Mittler spricht sich gegen Schwarz-Weiß-Denken aus und betont, dass die Realität zeige, dass sich viele Künstler zwischen staatlicher Anerkennung und Zensur bewegten.
Mo Yan 莫言ist ein Künstlername, der “sprachlos” oder “nichts sagen” bedeutet, was (nicht nur) in chinesischem Kontext bereits eine politische Aussage ist. Zu bedenken ist auch, dass Mo Yan in erster Linie Schriftsteller ist und Schriftsteller bekanntermaßen ihre Bücher für sich sprechen lassen, es gerade eine Kunst ist, Wahrheiten in Geschichten zu verpacken und das Urteil dem Leser zu überlassen. Literarisch ist Mo Yan unumstritten. Ob Literatur überhaupt unpolitisch sein kann, bleibt der Entscheidung des Lesers überlassen.
Für Mo Yan-Neulinge mag die deutliche Kritik an korrupten Kadern, wie sie sich in seinem Roman „Frösche“ zeigte, überraschend sein: Hier lehnt es ein Bauer empört ab Maotai-Schnaps zu trinken, als er hört, dass der Preis dieser Flasche seinem zweifachen Jahresverdienst entspricht. Seine Schwester beschwichtigt daraufhin mit der Versicherung, dass niemand, der eine solche Flasche kaufe, diese mit ehrlich verdientem Geld bezahle.
Eine amüsante Liebesgeschichte der beiden Esel Fleckchen und Rabauke, welche ihren Besitzern entlaufen, um gemeinsam ein neues Leben zu beginnen, findet sich in “Der Überdruss”. Auf ihrer Flucht töten sie zufällig heldenhaft zwei Wölfe, werden selbst jedoch fast von einer Gruppe Jägern erschossen. Noch rechtzeitig werden sie von ihren Besitzern eingeholt, welche stolz auf das mutige Handeln ihrer Tiere sind. Empörend wird die Geschichte, als die Jäger auf die bereits toten Tiere schießen und den Lohn dafür für sich beanspruchen. Die Besitzer der Esel bestehen auf der Wahrheit, sind jedoch machtlos. Da Esel normalerweise nicht beißen, schon gar keine Wölfe erlegen, klingt ihre Geschichte in Anbetracht der Schusswunden wie eine absurde Lüge. Das Mittel des “unzuverlässigen Erzählers”, welches Mo Yan gerne benutzt, verstärkt diesen Effekt und lässt die Frage nach der Wahrheit offen. Zur Freude des Lesers rächt sich Rabauke in diesem Fall und beißt dem Jäger kräftig in die Schulter.
Die Frage nach der Wahrheit beschäftigt auch Inspektor Ding Gou’er, der als Sonderermittler in eine entlegene Stadt geschickt wird, um Anschuldigungen nachzugehen, dass reich gewordene Parteikader kleine Kinder kulinarisch zubereiten lassen, die sie dann genüsslich verspeisen. Ding Gou’er sieht sich schnell konfrontiert mit einer Welt von Aberglaube, Gier und Maßlosigkeit. Auch in diesem „Die Schnapsstadt“ genannten Roman geißelt Mo Yan die alltägliche Korruption und Willkür lokaler Kader und lässt den Leser eintauchen in eine grandiose Groteske.
Katharina Schütz ließ an diesem Abend keinen Zweifel daran, dass ihre Lesungen Lust auf das Weiterlesen der vorgestellten Werke machen sollen – es ist ihr gelungen!
Hintergrundinformationen
Mo Yan
Mo Yan wurde 1956 in Gaomi, Provinz Shandong, geboren. In Deutschland wurde er 1993 mit dem Roman “Das rote Kornfeld” bekannt. Mo Yans Werke wurden weltweit übersetzt und mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet. Für seinen Roman “Frösche” erhielt er 2011 den Mao-Dun-Literaturpreis. Die Auszeichnung Mo Yans mit dem Literaturnobelpreis 2012 stieß auch auf Kritik in der deutschen Öffentlichkeit. Barbara Mittler, Professorin für moderne Sinologie am Institut für Sinologie der Universität Heidelberg, wird zu dieser, ihrer Meinung nach, nicht immer gerechtfertigten Kritik an Mo Yan und der Vergabe des Nobelpreises Stellung nehmen und den Autor und sein Werk kurz einführen. Im Anschluss liest Katharina Schütz aus verschiedenen Werken Mo Yans, darunter die Kurzgeschichte “Jungfernflug”, aus dem Lieblingskapitel des Autors aus seinem Werk “Der Überdruss” und aus der im Hanser Verlag 2013 erschienen deutschen Übersetzung “Frösche” sowie eine längere Passage aus seinem Werk “Schnapsstadt”. Im Anschluss an die Lesung hat das Publikum Gelegenheit Fragen an Katharina Schütz und Barbara Mittler zu stellen.Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem DAI Heidelberg statt.
Katharina Schütz
Katharina Schütz lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Hamburg als Schauspielerin und Sprecherin. Ihre Ausbildung absolvierte sie von 1975-78 an der renommierten Folkwang Universität der Künste in Essen. Sie spielte u.a. in Zürich, Hannover, Lübeck, Kiel und Hamburg. Zusätzlich ist sie immer wieder in den unterschiedlichsten Film- und Fernsehrollen zu sehen. Seit nunmehr zehn Jahren stellt sie, soweit es ihre Engagements erlauben, selbst Leseprogramme zusammen. Mo Yan zählt – und dies nicht erst seit seinem Literaturnobelpreis – zu ihren Lieblingsautoren. Und so ist sein Werk auch ein besonders persönlicher Bestandteil ihres Repertoires.
Barbara Mittler
Prof. Dr. Barbara Mittler ist derzeit Co-Direktorin des Exzellenzclusters “Asien und Europa im globalen Kontext” und seit seiner Gründung Vorstandsvorsitzende des Konfuzius-Instituts Heidelberg e.V. Sie studierte Sinologie, Musikwissenschaft und Japanologie in Oxford, Heidelberg und Taipeh, promovierte summa cum laude und habilitierte, nach einem Forschungsaufenthalt als Fellow an der Harvard University, an der Universität Heidelberg. Nach Rufen in die USA hat sie seit 2004 einen Lehrstuhl für Sinologie inne und war bis 2012 Direktorin des Instituts für Sinologie. In ihrer Forschung befasst sie sich neben chinesischer Literatur, u.a. auch mit Fragen der Propaganda in der Volksrepublik China, mit chinesischen Frauenzeitschriften sowie der Musik in China. Für ihre Leistungen wurde Prof. Mittler mit zahlreichen Preisen geehrt. Jüngst wurde sie für ihr neuestes Buch über Propagandakunst zur Kulturrevolution mit dem Fairbank Prize der American Historical Association ausgezeichnet.