Age and Images of Ageing in Germany and China: Chances, Challenges, and New Perspectives

Age and Images of Ageing in Germany and China: Chances, Challenges, and New Perspectives

Termin:  Dienstag, 30. April 2013
Ort: Spiegelsaal des Palais Prinz Carl, Kornmarkt 1, 69117 Heidelberg

Alter und Altersbilder in Deutschland und China: Chancen, Herausforderungen und neue Perspektiven

Das Alter neu denken

Am 30. April 2013 fand im Spiegelsaal des Palais Prinz Carl die zweite Veranstaltung innerhalb der von der Robert Bosch Stiftung geförderten Reihe „Deutsch-chinesischer Dialog der Kulturen“ statt. Den Auftakt bildete im Dezember 2011 die Podiumsdiskussion „Zwischen Phantasie und Perfektion: Erziehung und Bildung in Deutschland und China“, in der Wissenschaftler aus China und Deutschland aus der Pädagogik, Entwicklungsneurobiologie, Sinologie und Bildungsforschung das Leben der heutigen Schülergeneration in China beleuchtete (Bericht und Online-Dokumentation). Das diesjährige Podiumsgespräch über „Age and Images of Ageing: Chances, Challenges, and New Perspectives (Alter und Altersbilder in Deutschland und China: Chancen, Herausforderungen und neue Perspektiven)“ bildete die Fortsetzung des Dialogs, in dem sich erneut Forscher unterschiedlicher Disziplinen mit der Situation hochaltriger Menschen, d.h. Menschen ab dem 80. Lebensjahr, im globalen Kontext beschäftigten. Wie der Titel der Veranstaltung bereits vermuten ließ, bildeten Deutschland und China die geographischen Schwerpunkte.

Fragen nach einem guten und gelingenden Leben, auch im hohen Alter, beschäftigen die Menschen weltweit – so auch in China und in Deutschland. Wie sehen jedoch die (unterschiedlichen) Altersbilder aus, die in West und Ost zirkulieren? Inwieweit können tief verwurzelte Lebensphilosophien, wie beispielsweise der Konfuzianismus, eine Hilfestellung darstellen, das Alter als bereichernd und nicht als defizitär wahrzunehmen, und inwieweit dienen solche Philosophien als Erklärungsmuster für die Tradierung spezifischer Altersbilder in bestimmten Kulturen? Welche Maßnahmen müssen Regierungen ergreifen, um auch dem dynamischen Wandel des Familienbegriffs und den damit zusammenhängenden, sich allmählich auflösenden intergenerativen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten zu begegnen? Diese und weitere Fragen standen im Zentrum der Veranstaltung.

Um mögliche Antworten zu finden, beleuchteten vier Wissenschaftler aus Deutschland, England und China das Thema „Alter“ zunächst aus unterschiedlichen disziplinären und kulturellen Blickwinkeln. Begann der renommierte Heidelberger Gerontologe  Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Kruse mit einem Einblick in die deutsche und europäische Lebenssituation alter, älterer und sehr alter Menschen, beschrieb die Shanghaier Professorin Jie Chen im Anschluss daran die chinesische Realität aus ihrer Perspektive als Beraterin des chinesischen Gesundheitsministeriums und als Spezialistin im Bereich der Pflege und ärztlichen Versorgung von Senioren in China. „China is an ageing society with the world’s biggest number of old people,“ so die Expertin aus Shanghai, die sogleich die aktuellen demographischen Daten vorlegte. „The government therefore has to pay attention to this development, for example through new policies within the health and social welfare system.“

Auch der Vortrag des Direktors des Instituts für Sinologie der Ludwig-Maxmilians-Universität und Konfuzianismus-Experten, Prof. Dr. Hans van Ess, zeigte, dass sich das heutige China nicht unbedingt auf das Greifen konfuzianischer Traditionen wie die der Kindespietät und das Ehren der älteren Generation verlassen könne, da auch der Konfuzianismus und Konzepte, die sich daraus ableiteten, gesellschaftlichen Trends unterliegen und sich die sozialen Strukturen im China des 21. Jahrhunderts im Vergleich zu denen des kaiserlichen Chinas gravierend verändert haben: „There are many traditional values still around in nowaday’s China,“ so der Sinologe van Ess, „but they were attacked very strongly during the 20th century. The question is whether they are coming back to China right now  or not. Some people want them to come back (…) because they think that there is kind of an intellectual, spiritual vacuum in China, and one should instill traditional values into the youth. But I think there are major problems with this as there are many more old people today in China than there were when these traditional values were valid in imperial China.“ Bei seiner Analyse chinesischer Altersbilder aus historischer und sinologischer Perspektive klärte van Ess darüber hinaus über häufig in der westlichen Welt zirkulierende Fehlinterpretationen konfuzianischer Tugenden auf. So waren das Älterwerden und das Altsein für manche Menschen keine würdevolle Angelegenheit, wie ein Beispiel aus Dorés Recherches sur les superstitions en Chine (Forschungen zum Aberglauben in China) zeigte. Darin verkleidete sich der bereits erwachsene und pietätvolle Sohn Lao Laizi als Hampelmann, um seine Eltern einerseits zu amüsieren und um ihnen andererseits ein Gefühl des Junggebliebenseins zu vermitteln – eine überraschende Form des Ehrens der älteren Generation.

In seinem abschließenden Vortrag öffnete Emeritus Professor Ian G. Cook den Blickwinkel auf die globale Perspektive des Alterns und berichtete aus zahlreichen Länderstudien, die er im Jahr 2012 gemeinsam mit seinem britischen Kollegen Dr. Jamie Halsall durchgeführt hatte. Seine Studien zeigten, dass  sich die Gesellschaften weltweit mit wandelnden Altersbildern auseinandersetzten. Während manche jedoch die Defizite des Alterns hervorhoben, versuchten andere umzudenken und das hohe Alter als Chance zu begreifen. Auch Cook wünscht sich einen optimistischeren Blick auf das Alter: „We all tend to worry, to be rather pessimistic about the sheer number of ageing population that is coming to pass across the globe. I feel that this is a mistake. I feel that we should be celebrating the fact that all of us are more and more likely to live longer,“ so der britische Humangeograph und Sozialgerontologe.

In der von Prof. Dr. Barbara Mittler, Direktorin des Instituts für Sinologie und Co-Direktorin des Heidelberger Exzellenzclusters „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg, moderierten Gesprächsrunde fasste Professor Kruse schließlich die wichtigsten Punkte für ein gelingendes Umdenken hinsichtlich Altersfragen und Altersbilder zusammen. Altsein dürfe nicht mit Degeneration, Anfälligkeit, Verletzbarkeit gleichgesetzt werden. Der Mensch sei in der Lage, Entwicklungs- und Altersprozesse positiv zu beeinflussen und zu formen. Dies betreffe jedoch nicht nur die physischen Aspekte des Alterns, sondern vor allem auch die psychischen. Die mit dem demographischen Wandel einhergehende stetig wachsende Gruppe an alten und sehr alten Menschen solle daher nicht immer nur als Bedrohung, sondern vielmehr als eine Herausforderung angesehen werden, der wir uns stellen müssten. So seien nicht nur Regierungen angehalten, die notwendigen Bedingungen für ein gutes und gelingendes Altern in Form von Gesundheits-, Motivations- und Kulturprogrammen zu schaffen. Auch wir selbst sind angehalten, ein System der gegenseitigen Verantwortung zu entwickeln, welches junge, jüngere, ältere, alte und sehr alte Menschen integriert und ein Netz des gegenseitigen Austauschs und der gegenseitigen Unterstützung bietet.

Über die Veranstaltung wurde in der deutschen und chinesischen Presse berichtet.

 

Über die Podiumsteilnehmer:

Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Kruse, Heidelberg

Professor Kruse ist ein führender Vertreter der deutschen Gerontologie und Demografie. Er studierte Psychologie, Philosophie und Musik an den Universitäten Aachen und Bonn sowie an der Musikhochschule Köln. Seit 1997 leitet er das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg. Prof. Kruse ist Mitglied zahlreicher Gremien und Kommissionen. So zeichnet er seit 1987 für die Altenberichte des Bundestags verantwortlich, seit 2006 hält er den Vorsitz der Kommission „Altern“ der Evangelischen Kirche Deutschland inne und seit 2011 ist er Mitglied der Behindertenberichtskommission der Bundesregierung. In seiner Forschung beschäftigt sich Prof. Kruse u.a. mit neuen Rollenbildern und Aufgaben für ältere Menschen. Wie Politik und Gesellschaft gemeinsam gesellschaftliche Alterungsprozesse bewältigen zu vermögen, ist eine der Hauptfragen, die er in seiner wissenschaftlichen und beratenden Tätigkeit zu lösen versucht.

 

Prof. Dr. Jie Chen, Shanghai

Professor Chen ist die Direktorin des National Key Lab of Health Technology Assessment, Ministry of Health (MOH) an der Fudan Universität in Shanghai, Leiterin des WHO Collaborating Centre for Health Technology Assessment and Management sowie Vorsitzende des Medical Device and Diagnosis Committee für die Region Asien-Pazifik der International Society for Pharmaoeconomics and Outcome Research (ISPOR). Sie studierte Medizin und Public Health in Shanghai und Harvard. Prof. Chen war als Ärztin tätig, bevor sie sich der Wissenschaft zuwandte und das Department of Hospital Management der School of Public Health der Fudan Universität in Shanghai gründete. Sie ist Mitglied des National Expert Committee of the Ministry of Health der VR China und wurde 1998 zum Assistant Director General des Hauptbüros der World Health Organization ernannt. In ihrer Forschung spezialisierte sie sich auf Aspekte der Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitsverwaltung, Klinikmanagement, Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie und veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze, Artikel und Bücher zu allen genannten Themenfeldern. Eine englischsprachige Kurz-Vita von Prof. Chen findet sich auf der Webseite der ISPOR.
Em. Prof. Dr. Ian G. Cook, Liverpool John Moores University

Ian G. Cook ist Professor Emeritus der Humangeographie und der Sozialgerontologie der Liverpool John Moores University. Cook studierte an den Universitäten in Aberdeen (BSc Hons) und Nottingham (PhD). Zahlreiche Forschungsreisen und Lehraufträge führten ihn nach Asien. So war er neben regelmäßigen Feldforschungs-Aufenthalten in China auch als Gastprofessor am Department of Urban Planning an der Tsinghua Universität in Peking (2009) und am Department of Urban and Regional Resource Science der Universität in Nanjing (2001) tätig. Die Schwerpunkte seiner Forschungen liegen auf der Analyse von Urbanisierungs- und Globalisierungsprozessen, von Ungleichgewichten im Gesundheitsbereich sowie von den Lebenswelten älterer Menschen. Darüber hinaus beschäftigt sich Prof. Cook mit Fragen zur Umweltproblematik und –politik. In zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen analysierte er die Interdependenzen von Gesundheit, Umwelt, Stadtentwicklung und dem Altern im globalen Kontext und ging der Frage nach, inwieweit der Mensch sein Leben auch im hohen Alter noch aktiv gestalten kann. In seiner neuesten Publikation Aging in Comparative Perspective: Processes and Policies (Springer Press New York, 2012) beschreiben er und sein Co-Autor Dr. Jamie Halsall die globalen Auswirkungen auf die Lebenswelten der Älteren mithilfe einer komparativen Studie aktueller gesundheitspolitischer und demografischer Trends in den USA, Großbritannien, Japan, Schweden, China, Südafrika und Nepal.
Prof. Dr. Hans van Ess, München

Professor van Ess ist Leiter des Lehrstuhls für Sinologie (einschließlich Mongolistik) der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte Sinologie, Turkologie und Philosophie in Hamburg und Shanghai und arbeitete danach als Länderreferent beim Ostasiatischen Verein in Hamburg. Nach einer dreijährigen Assistenzzeit in Heidelberg wurde Prof. van Ess in Hamburg habilitiert und im Jahr 1998 an den Lehrstuhl nach München berufen. Prof. van Ess hat zahlreiche Ämter inne. Er war Dekan der Fakultät für Kulturwissenschaften (2003-2005) und Vizepräsident der LMU München (2007-2009), ist Membre du conseil scientifique pôle Asie des Französischen Außenministeriums, Herausgeber der Reihe Lun Wen (Harrassowitz, Wiesbaden) und als Redakteur wissenschaftlicher Zeitschriften mit China-Schwerpunkt tätig. Seine vielzähligen Veröffentlichungen beschäftigen sich mit der chinesischen Geistesgeschichte. Ein Schwerpunkt bildet die konfuzianische Tradition in China, durch deren Linse er das Altern in China in seinem im Jahr 2012 erschienenen Artikel „Ehrfurcht vor dem Alter? Einige Anmerkungen zum Altern in China“ beleuchtete. Ein detaillierter wissenschaftlichen Werdegang sowie eine umfangreiche Publikationsliste finden sich auf der Webseite des Instituts für Sinologie der LMU.

 

Podcast: Christoph Bertolo, FlexX Filmdienst

Fotos: Marcel Hasübert

Diese Veranstaltung wurde gefördert durch die