Chinesische Medizin und Herz-Kreislauf-Erkrankungen

In Kooperation mit dem Konfuzius-Institut an der Universität Heidelberg und der Akademie für Ältere setzte Frau Dr. Dr. Andrea-Mercedes Riegel unsere seit vielen Jahren beliebte und erfolgreiche Vortragsreihe zur Chinesischen Medizin und Heilkunde am 25.03.2021 im digitalen Rahmen fort. Die Heilpraktikerin Andrea Riegel führt eine Praxis für klassische chinesische Medizin in Oftersheim bei Heidelberg und gibt regelmäßig im Rahmen ihrer Vorträge exklusive Einblicke in die chinesische Naturheilkunde.

Herz-Kreislauferkrankungen nehmen in der heutigen Zeit stetig zu. Insbesondere der Bluthochdruck ist ein Phänomen bei steigender Stressbelastung. Zwar stehen in der Schulmedizin unterschiedliche Arten von Blutdrucksenkern zur Verfügung, doch kann sich ein Blick auf Alternativen in der chinesischen Medizin lohnen.

Nach einer Einführung in die Thematik durch Heidi Marweg ging Andrea Riegel zunächst auf die Funktion des Herzens ein. Das Herz sei dasjenige Organ, welches für die Versorgung des gesamten Organismus mit Blut und damit Sauerstoff verantwortlich ist. Gesteuert von einem autonomen Reizleitungssystem erfolge ein permanenter Austausch zwischen sauerstoffarmem und sauerstoffreichem Blut. Das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge werde mit 70 bis 80 ml pro Herzschlag, 6L pro Minute in die Peripherie gepumpt. Das Funktionieren des Kreislaufsystems hänge vornehmlich von der Leistungsfähigkeit des Herzens und der Beschaffenheit der Blutgefäße ab. Herz-Kreislauferkrankungen oder „cardio-vasculäre Erkrankungen“ stellten in der modernen Gesellschaft allerdings ein großes Problem dar und seien weltweit für viele Todesfälle verantwortlich. Risikofaktoren für Herz und Gefäße seien neben Stress Ernährungsfehler, Alkohol, Nikotin, Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Adipositas. Daneben kämen auch Allergien und vor allem Lebensmittelunverträglichkeiten für eine Erhöhung des Blutdrucks in Betracht. Zu den „Krankheiten des Kreislaufsystems“ zählen laut ICD Akutes rheumatisches Fieber, Rheumatische Klappenstenosen, Hypertonie, Koronare Herzkrankheit KHK und Infarkt, Pulmonale Hypertonie („cor pulmonale“), Entzündungen des Herzens (Endocorditis, Myocarditis, Pericarditis), Zerebrovasculäre Krankheiten (Hirnblutung), Arterielle Verschlusskrankheit (AVK), Venenerkrankungen (Krampfadern, Thrombosen) und Lymphstagnationen, sonstige Störungen des Kreislaufsystems (Hypotonie).

Die Behandlung cardio-vaskulärer Erkrankungen erfolge meist über entsprechende Medikamente wie Statine (Cholesterinsenker), Blutdrucksenker mit verschiedenen Wirkmechanismen und Blutverdünner. Meist seien jedoch Herz-Kreislaufmedikamente nicht die einzigen Präparate auf der Medikamentenliste der Patienten, so dass sich die Frage nach Alternativen durchaus stelle.

Schaue man sich das Ganze nun aus dem Blickwinkel der chinesischen Medizin an, so sei eine ganz klare Hierarchie der Innenorgane auszumachen. Das Herz sei im Organismus der absolute Herrscher, der im Zentrum des Himmelsbereiches des Menschen stehe, direkt umhüllt vom obersten Minister Perikard und flankiert von seinem Premierminister Lunge. Seine weiteren Minister sind Leber als „Zuarbeiter“ und Niere als Kontrolleur: Der Herrscher müsse mitunter vor sich selbst beschützt werden, diese Aufgabe übernehme im Organismus die Niere. Das Herz werde in alten Abbildungen als eine sich öffnende Lotusblume mit Verbindungsfäden zu den übrigen Speicherorganen Niere, Leber Milz und dem stabilen Verbindungsrohr zur Lunge dargestellt.

Im Rahmen der fünf Phasentheorie ist das Herz ein Speicherorgan von fünf. Es unterhalte eine Mutter-Sohn-Beziehung zur Leber (Mutter) und eine zur Milz (Sohn). Es kontrolliere die Lunge (Metall) und werde von der Niere (Wasser) kontrolliert. Zuordnungen:

Farbe Struktur Sinnesorgan Jahreszeit Pathogener Faktor Geschmack Speicher
rot Gefäße Zunge Sommer Hitze bitter Shen Freude

Um das Herz mit seinen Funktionen aus Sicht der chinesischen Medizin zu verstehen, sei hilfreich, so Riegel, die einzelnen Funktionen zu „interpretieren“. Das Herz sei tatsächlich dasjenige Organ, an dem sich die unterschiedlichen Organfunktionen der Innenorgane Yang, Yin und Qi am ehesten darlegen ließen. Die Yang-Funktion ist die grundlegendste Funktion, um eine Organfunktion zu erhalten. Im Organismus ist sie Grundlage für die Qi-Funktion und kann entweder im Organ selbst oder zentral gefunden werden. Im Falle des Herzens liege für die Yang- Funktion das Herzreizleitungssystem, das Herz-Kreislaufzentrum im Hirnstamm, das limbische System und den Sympathikus vor. Herz-Yin könne dementsprechend einerseits das Organ selbst bezeichnen, andererseits die emotionale Kontrolle oder den Vagus; denn das Herz und der Blutdruck würden durch die beiden Sympathikus und Parasympathikus moduliert. Die Qi-Funktion bezeichne die Pumpfunktion des Herzens. Die Feuer-Wasser-Beziehung im Organismus ist wohl die wichtigste Organbeziehung überhaupt. Wir kennen aus den Klassikern die Aussagen „Herz und Niere kommunizieren miteinander“, „Wasser und Feuer nähren einander“, „Wasser und Feuer berühren einander“. Es gehe demnach nicht um Zerstörung, sondern um gegenseitige Unterstützung.

Herz-Yang werde benötigt, um die Niere anzuwärmen, um sie in die Lage zu versetzen, Essenz für die Bildung von Herz-Blut bereitzustellen, das auch den Geist (shen 神) speichere, und mit ihrem Wasser Herz-Feuer zu kontrollieren. Das Herz-Qi (Pumpfunktion) wird benötigt, um das Blut in die Peripherie zu treiben. Die Harmonie zwischen Herz und Niere ist wesentlich für die Gesundheit des Organismus, für den regulären Blutkreislauf und als Basis für mentale Gesundheit. Die “Kommunikation” zwischen beiden ist daher essentiell. Problematisch wird die Situation, wenn Herz-Feuer und Nieren-Wasser auseinanderdriften. Das ist eine wesentliche Ursache für Bluthochdruck mit all seinen Symptomen und mentale Störungen wie innere Unruhe, Nervosität, Angststörungen (Herz-Hitze).

Wie könnte man sich eine derartige Störung in der Niere-Herz-Achse aus Sicht der Schulmedizin vorstellen?

Niereninsuffizienz (Nieren-Yang-Leere): Durch den Verbleib harnpflichtiger Stoffe im Körper steigt der Blutdruck.

Hyperthyreose (Nieren-Yin-Leere): Fehlende Kontrolle der Schilddrüsenachse führt zu Bluthochdruck und Nervosität, Palpitation, Schweißausbrüchen.

Nieren-Arterien-Stenose: Der bildliche „Abriss“ der Verbindung zwischen Niere und Herz führt zur Erhöhung des Blutdrucks (RAAS).

Aus dem Bereich des fünf Phasensystems wird deutlich, dass die Faktoren Stress, Ärger und Hektik, die die Leber belasten, sich wiederum negativ auf das Herz und damit den Blutdruck auswirken können. Ähnliches gilt für die Mitte, die Milz, die für ihre Funktion von ausgewogener Ernährung abhängig ist. Fehlernährung kann sich in jedem Falle langfristig auf Herz und Kreislauf auswirken ebenso wie – nicht erkannte – Lebensmittelunverträglichkeiten, die für „Hitze“ im Bereich der Mitte verantwortlich sind.

Für die Therapie von Herz-Kreislaufproblemen kommen sämtliche therapeutische Anwendungen in Frage: Akupunktur, Kräutertherapie, Bewegungstherapie und Diätetik. Aufgrund der klaren Unterscheidung der unterschiedlichen Herzaspekte lassen sich direkte Zuordnungen treffen und je nach Ursache und Pathomechanismus Therapieziele festlegen. In jedem Fall aber ist die Niere als Kontroll- und Unterstützungsorgan mit zu berücksichtigen.

Bluthochdruck (Hypertonie): Symptome: rotes Gesicht, Kopfschmerz, evtl. bitterer Mundgeschmack, Schlafstörung, Ohrensausen, Nervosität, Nasenbluten, Kurzatmigkeit, Schwindelgefühl, schnelles Schwitzen

CM: Herz-Hitze, Herz-Feuer: Therapieziel: Herz-Feuer löschen, Nieren-Wasser stärken; Akupunktur Hauptpunkte: Ni 3 – He 7 und/oder Pe 6 – Le 3, Ma 36, Ren 15; Kräuter: Coptidis Rhizoma/Cinnamomi Cortex, Salviae miltiorrhizae Radix (danshen), Curcumae Rhizoma, Moutan Cortex

Niedriger Blutdruck (Hypotonie) – Kreislaufprobleme: Symptome: Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, kalte Hände/Füße, Blässe, Schwindel, Ohnmacht, Herzklopfen

CM: Herz-Qi-Leere, Blutleere: Herz-Qi stärken, Blut und Niere nähren; Akupunktur: Ren 6 – Ma 36, Di 10 (shousanli), Di 4 – Le 3 (siguanxue); Kräuter: Atractylodis macro. Rhizoma, Poria cocos, Codonopsitis Radix, Ginseng Radix

Angina pectoris/Herzinfarkt: Symptome: Brustenge, Brennen retrosternal

CM: Herz-Bi (Herz-Obstruktion), Brust-Bi (Brust-Obstruktion), Schleim-Hitze bedrängt das Herz (Arteriosklerose): Therapieziel: Blut- und QI-Zirkulation im Bereich des Herzens anregen; Akupunktur: Ren 17, Pe 4 oder Pe 6, Ren12, Ren 15, Ma 36; Kräuter: Schizandra Fructus, Citri sarcodactylis Fructus, Crataegi Fructus

Grundsätzlich ist zu beachten, dass sich Therapieziel und Therapie stets nach dem Gesamtbild des Patienten richten und auf jeden Menschen vom Therapeuten  individuell zugeschnitten wird.

Regelmäßige Bewegung, die Beachtung bestimmter Ernährungsregeln, gerade bei Bluthochdruck, sind unabdingbar. Ergänzend hierzu sind immer wieder kurweise Akupunkturbehandlungen oder Kräutertherapie in Anspruch zu nehmen. Die Praxis habe gezeigt, dass bereits sehr einfache Akupunkturpunktekombinationen eine große Wirkung auf eine Normalisierung des Blutdrucks ausüben könne. Dis gelte auch für die Implantatakupunktur, bei der Implantate an bestimmte Punkte im Ohr angebracht würden, um dort über mehrere Monate zu verbleiben und einen regulativen Dauerreiz auszuüben.

(Angaben basieren auf dem Vortrag sowie dem Vortragsmanuskript von Andrea-Mercedes Riegel)

 

Hier finden Sie die Präsentationsfolien des Vortrags: 20210325_CM und Herz-Kreislauf-Erkrankungen