Junger Blick auf China: Interview mit Schülerpraktikant Till Becker
Junger Blick auf China: Interview mit Schülerpraktikant Till Becker
Till Becker, Schüler der 10. Klasse der Albert-Schweitzer-Schule in Offenbach am Main, absolvierte sein dreiwöchiges Schülerbetriebspraktikum (Internship) am Konfuzius-Institut Heidelberg. In einem kurzen Interview gibt Till uns ganz persönliche Einblicke in seine Vorstellungen über China, den Unterschied zwischen Berufsleben und Schulalltag und seine Erfahrungen als Teil des Teams am Konfuzius-Institut Heidelberg.
Konfuzius-Institut Heidelberg: Till, was fällt dir spontan ein, wenn du an China denkst und was weißt du allgemein über China?
Till Becker: Da fällt mir ziemlich viel ein. Zunächst denkt man sicher an die vielen großen Städte, die es in China gibt. Außerdem weiß ich, dass es in China viele unterschiedliche Provinzen gibt und ein riesiger Unterschied zwischen Stadt und Provinzen besteht. China ist ein Land mit einem sehr hohen Anteil natürlicher Ressourcen, insbesondere seltener Erden und Metalle. Dies verschafft China eine Monopolstellung in manchen Bereichen, die es China ermöglicht, durch Ausfuhrkontrollen die Preispolitik für diese Metalle auf dem Weltmarkt zu nutzen. In kultureller Hinsicht versucht man meiner Meinung nach, moderner und westlicher zu sein und vom Dritte-Welt-Image wegzukommen. Modernität soll im Vordergrund stehen, nicht die Antike. Außerdem fallen einem natürlich die Umweltprobleme ein, besonders der Smog in den Städten und dass das Regime etwas schwierig ist. Es gibt keinen puren Kommunismus und erst recht keine Demokratie, der Staat verhält sich mal liberal, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik, und mal nicht. Und als Privatbürger hat man vielleicht nicht alle Möglichkeiten und Aufstiegsmöglichkeiten, man braucht Kontakte oder muss Parteimitglied sein und nicht jeder in China kann es sich leisten zu studieren. Dann fallen mir natürlich noch Dinge wie die Terrakotta-Armee, Mao Zedong, die Opiumkriege, die Wirtschaftsreformen, die Kaiserdynastien, z.B. die Ming-Dynastie, die Verbotene Stadt in Beijing, Seidenhandel oder Marco Polo ein.
Das ist ziemlich viel, was dir spontan zu China einfällt. Behandelt ihr China in der Schule oder informierst du dich persönlich über China?
Nein, im Schulunterricht spielt China bei uns keine Rolle, weder in Geschichte und auch nicht in Politik. China wird nicht als positives Beispiel für ein erfolgreiches System betrachtet von dem man lernen kann. Auch die Wirtschaftsreformen nicht, meiner Meinung nach hat man dabei in China gegen eigene wirtschafts- und gesellschaftliche Regeln und Richtlinien verstoßen und die eigenen Ideale verraten. Aber als ich jünger war, hatte ich zum Beispiel National Geographic World abonniert und dort eine Geschichte über Marco Polo gelesen, der die ersten Seidenraupen aus China rausgeschmuggelt haben soll. Auch in anderen Medien, zum Beispiel in den Fernsehnachrichten, in Zeitungen oder im Internet ist China Thema. Dort habe ich erfahren, dass Chinesen auf Karaoke stehen, aber auch, dass es vielen Chinesen schlecht geht, dass Perspektivlosigkeit herrscht, zum Beispiel in der Arbeiterklasse, und dass ärmere Familien der Armut entkommen möchten indem sie ihre Kinder versuchen zu drillen. Auch von der Ein-Kind-Politik habe ich gehört, auch wenn ich nicht genau weiß, was das ist, nur dass es jetzt zu viele Männer in China gibt, weil man denkt, dass Männer mehr Geld verdienen und China immer noch eines der bevölkerungsstärksten Ländern der Welt ist. Der Tibet-Konflikt, der chinesische Bürgerkrieg und Chinas Rolle im Vietnamkrieg sind weitere Themen, aber nicht zu allem gibt es gute Dokumentationen oder Informationen.
Das Konfuzius-Institut gestaltet gemeinsam mit dem Schulteam des Instituts für Sinologie China-Projekttage an allgemeinbildenden Schulen in der Region. In dieser Woche waren wir sogar an einer Schule in Bensheim, die ein Austauschprogramm mit einer chinesischen Partnerschule pflegt. Denkst du, dass China oder Chinesisch mehr in den Unterricht an deutschen Schulen integriert werden sollte?
Ich glaube, dass ich schon ein bisschen über China weiß, ich habe bloß nichts davon über die Schule vermittelt bekommen. Ich fände es gut, wenn China mehr in den Unterricht integriert würde, zum Beispiel in PoWi (Politikwissenschaft). Generell beschränkt man sich im Geschichts- und PoWi-Unterricht auf die eigene Geschichte, die ja schon sehr viele Themen umfasst. Natürlich ist es schwierig, Unterrichtsthemen einzugrenzen – vieles bleibt jedoch häufig sehr theoretisch, die Theorie wird dann aber nicht weiter angewandt. Man könnte ja zum Beispiel die Opiumkriege einbauen, in denen mehrere Länder involviert waren.
Welche Medien nutzt du denn, um dich zu informieren?
Zum einen Nachrichten im Fernsehen, wie die Tagesschau, aber da gibt es eigentlich nicht viele Unterschiede zwischen den Sendern, weil die Sender ihre Meldungen heute sowieso von Nachrichtenagenturen kaufen, dann im Internet und manchmal in Zeitungen und Magazinen wie dem Spiegel, der Zeit oder der Frankfurter Rundschau.
Und in welcher Form begegnet dir China im Alltag?
Die meisten meiner Klamotten kommen aus China. Mittlerweile kommen ja viele Kleider und auch Elektronikprodukte aus China und auch nicht mehr nur billige Produkte. Die Produktqualität hat sich schon verbessert, früher war vieles chemieverseucht, aber das ist nicht mehr so schlimm. Man legt jetzt auch Wert auf Qualität und nicht mehr nur auf den Preis.
Du hast hier auch mit chinesischen Kollegen zusammen gearbeitet und viele Chinesen kennen gelernt. Gibt es etwas, was dich in dieser Zeit der Zusammenarbeit überrascht hat?
Mich hat überrascht, dass Chinesen gar nicht so unglücklich sind wie wir immer denken. Sie sind stolz auf ihr Wachstum und auf ihr Land und gar nicht so unglücklich mit der politischen Situation. Es ist schon mehr Patriotismus zu spüren als man das in Deutschland kennt. Die Chinesen, die ich getroffen habe, waren alle super nett und auch nicht so, wie man es aufgrund von Medienberichten erwarten würde. Während der Olympischen Spiele zum Beispiel, gingen Bilder von chinesischen Männern, die ohne T-Shirt raus gehen und auf die Straße spucken durch die Medien. Das ist zum Beispiel ein Klischee, das einfach gar nicht haltbar ist. Es gibt nicht komplett andere Sitten in China und China ist kein Land mit einer komplett fremden Kultur, vor allem nicht in den Städten, denke ich.
Und was hat dir an deiner Arbeit hier besonders gut gefallen und am meisten Spaß gemacht?
Ich fand es toll, dass die Arbeitszeit flexibel ist und man nicht nach Stechuhr von halb acht bis vier Uhr oder so arbeitet. Ich wusste genau, was ich zu tun hatte und konnte mir meine Arbeit gut einteilen. Am besten hat mir gefallen, dass ich hier auch viel gelernt habe, zum Beispiel wie man mit Photoshop arbeitet oder wie man eine Website erstellt.
Was ist für dich der größte Unterschied zwischen Schule und Arbeit?
Dass man bei der Arbeit hier mehr nach seinen Fähigkeiten eingesetzt wird und sie dadurch auch besser zeigen kann als in der Schule. Der Druck, zumindest als Praktikant, ist nicht so groß. Man hat nicht immer das Gefühl, irgendetwas vermasselt zu haben. Zum Beispiel, wenn man mal eine Arbeit vermasselt hat, dann kommt schon bald die nächste Arbeit und man hat öfter das Gefühl, etwas falsch zu machen. Bei meiner Arbeit hier hatte ich nicht das Gefühl, etwas machen zu müssen, sondern machen zu dürfen. Vor allem weiß man, für was man etwas tut, zum Beispiel für eine Veranstaltung. Und man sieht auch direkt den Effekt der Arbeit und weiß, dass etwas passiert, wenn man etwas tut.
Gerade befinden wir uns im Deutsch-chinesischen Sprachenjahr, einer Initiative der deutschen und der chinesischen Regierung, um die chinesische Sprache in Deutschland und die deutsche Sprache in China bekannter zu machen. Hast du während deines Praktikums denn auch ein bisschen Chinesisch gelernt?
Ich konnte ein paar Wörter aufschnappen, wie zum Beispiel xiexie 谢谢, das heißt Danke, oder ni hao 你好, das heißt hallo oder guten Tag.
Würdest du denn jetzt gerne einmal nach China reisen?
Ja, sehr gerne. Ich würde gerne das Land sehen und auch den Unterschied zwischen Stadt und Land einmal selbst erleben. Ein standardmäßiges Tourismusprogramm interessiert mich nicht so sehr, aber ich würde gerne einmal Landschaften wie die Himalaya-Region sehen.
Denkst du heute anders über China als vor deinem Praktikum?
Ja, vor allem in der Beziehung, dass Chinesen keine so großen Probleme haben mit ihrem Land und ihrer Regierung wie wir denken. Das einzuschätzen finde ich schwierig, weil ich denke, dass Chinesen, die in Deutschland arbeiten eher zur intellektuellen Elite zählen und es vielleicht in anderen Bevölkerungsschichten andere Ansichten gibt. Das erfährt man wohl eher, wenn man nach China reist. Außerdem finde ich jetzt, dass Kalligraphie viel schwieriger ist als es auf den ersten Blick aussieht.
Du hast während deiner Praktikumszeit auch die Feier des größten chinesischen Festes, des Neujahrsfestes, erlebt. Wie war das für dich?
Mich hat es überrascht, dass man sich bei so einer Veranstaltung ganz anders verhält als wenn man jetzt zum Beispiel eine deutsche Gala besucht. Bei einer deutschen offiziellen Abendveranstaltung dürfen Kinder nicht rumrennen, man spricht nicht mit Nachbarn oder hat die Handys an, es ist viel belebter. Ich finde diese traditionelle Strenge bei einer deutschen Veranstaltung auch nicht schlecht, aber ich mag es auch, wenn etwas anders ist. Und Chinesen stehen auf “Kitsch”, sie sind viel emotionaler beim Musizieren und auch beim Zuhören. Ich habe gesehen, dass manche Lieder einigen wirklich Tränen in die Augen getrieben haben. Es wird auch viel mehr gemischt und experimentiert, zum Beispiel Opernkultur mit moderner Musik.
Gab es irgendein Highlight während deines Praktikums?
Natürlich war das Neujahrsfest ein Höhepunkt, aber eigentlich war das ganze Praktikum ein Highlight.
Zum Schluss noch eine Frage zu Heidelberg: Wie gefiel es dir hier?
Ich war vor meinem Praktikum schon einmal in Heidelberg gewesen. Hier ist alles viel belebter als in Offenbach. Auch wenn man durch die Seitengassen läuft, sind immer Menschen unterwegs. Die Altstadt ist natürlich sehr touristisch, ich habe mir aber auch andere Viertel angesehen, die mir sehr gut gefielen.
Vielen Dank Till für das Gespräch und für deine Offenheit. Wir haben alle sehr gerne mit dir zusammen gearbeitet, du hast unser Team wirklich bereichert und ich hoffe, dass du dir deine Begeisterung, dein Engagement, deine Offenheit für Neues und deine eigene Art bewahrst.
Das Interview führte Sylvia Schneider.