Chinesische Medizin und Rheuma

Am 29.04.2021 ging es in der Vortragsreihe zur chinesischen Medizin des Konfuzius-Instituts Heidelberg in Kooperation mit der Akademie für Ältere Heidelberg um das Thema „Chinesische Medizin und Rheuma“. Nach einer Einführung von Heidi Marweg, Programmleiterin am Konfuzius-Institut Heidelberg, ging die Heilpraktikerin und Expertin für chinesische Medizin Dr. Andrea Mercedes Riegel ausführlich auf die Grenzen und Chancen bei der Behandlung von Rheuma sowie seine Disharmoniemuster ein.

Sie führte aus, dass Rheuma eine chronische Erkrankung sei. Insbesondere das entzündliche Rheuma bereite Patienten wie Ärzten Probleme, da es nicht heilbar ist. Zunächst stellte sie grundlegende Züge der westlichen Medizin dar und erläuterte den rheumatischen Formenkreis, der viele verschiedene Krankheitsbilder umfasse, denen „Zustände, die mit schubweise auftretenden Schmerzen und Funktionseinschränkungen am Bewegungsapparat einhergehen“ gemein seien. Typische Rheumabeschwerden: Schmerzen, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, erhöhte Körpertemperatur, Spannungsgefühl, morgendliche Steifigkeit der Gelenke, Entzündungen der Muskeln oder Sehnen sowie der Gelenke und Schwellungen. In der westlichen Medizin unterscheide man vier große Gruppen:

► entzündlich-rheumatische Erkrankung

► degenerative Gelenk- und Wirbelsäulen-Erkrankungen

► Weichteilrheumatismus

► Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden

Unter den entzündlichen Formen am häufigsten und bekanntesten ist die chronische Polyarthritis neben der Spondylarthritis Morbus Bechterew. Die standardisierte Rheuma-Therapie in der Schulmedizin legt das Hauptgewicht insbesondere auf Schmerzlinderung und Hemmung der entzündlichen Prozesse mit cortisonfreien Entzündungshemmern, steroiden Medikamenten, physikalischer Therapie (Massagen, KG, Wärme, Kälte), psychologischen Maßnahmen sowie spezieller Diätetik. Die westliche Naturheilkunde hält schmerzlindernde und entzündungshemmende Heilpflanzen wie Teufelskralle, Arnika, Cayennepfeffer und Weihrauch bereit, daneben Brennnessel als „Blutreiniger“. In der Homöopathie findet z.B. Rhus toxicodendron, Teufelskralle und Arnika Anwendung.

Die chinesische Medizin nennt Rheuma Wind-Feuchtigkeitskrankheit (fengshi bing 风湿病); dies aufgrund der Beobachtung, dass sich die Beschwerden des Rheumapatienten insbesondere bei feuchter Witterung und bei Wind verschlechtern, Sturm und Regen die widrigsten Bedingungen für den Rheumapatienten sind. Sie unterscheidet zwei Grundtypen, den Hitze- und den Kältetyp. Merkmale beim Kälterheuma sind: Arthrosen, Kältegefühl, Schwellungen ohne Überwärmung, Bewegungseinschränkung, Schmerzen bei Bewegung, blasse Zunge, langsamer Puls. Wärme bessert.

Merkmale des Hitzerheumas sind: Arthritiden, Schwellungen, Überwärmung, Rötungen, Fieber, Schmerzen auch in Ruhe, rote Zunge (evtl. gelb belegt), rascher Puls. Kälte bessert.

Das allgemeine Therapieprinzip lautet: Aktivieren der Blut- und Qi-Zirkulation, Befreien der Leitbahnen und Netzgefäße, Stärken des Wei-Qi, Stärken von Qi und Blut, Ausleiten von Wind und Feuchtigkeit. Der Kältetyp kann sich zum Hitzetyp verändern und umgekehrt. Es gilt in der Therapie immer, die Veränderungen der Symptomatik zu berücksichtigen und die Therapie darauf einzustellen. In der Rheumatherapie sind auch stets Leber und Niere zu stärken. Grundsätzlich können in der Rheumatherapie alle therapeutischen Maßnahmen der chinesischen Medizin zum Einsatz kommen, darunter zahlreiche Heilpflanzen, die Wind ausleitend sind und die Leitbahnen frei machen sowie den Blut- und Qi-Fluss anregen, daneben die Akupunktur.

Einige Heilpflanzen darunter besitzen gleichzeitig eine stärkende Wirkung auf Leber und Niere wie vor allem der Maulbeerzweig (sangzhi 桑枝), der Zweig der Maulbeermistel (sangjisheng 桑寄生), die speziell auf die Blasenleitbahn wirkende Wurzel der Clematis (weilingxian 威灵仙), die Wurzel der Angelica pubescentis (duhuo 独活), die feuchtigkeitsausleitende und abschwellende Wirkung besitzt. Für die Rheumaforschung interessant ist aktuell die Dreiflügelfrucht Tripterygium wilfordii (leigongteng 雷公藤). Daneben werden in der chinesischen Kräutertherapie für die Rheumabehandlung auch Produkte aus wirbellosen Tieren verwendet, wie etwa der Regenwurm (dilong 地龙) oder der Blutegel (shuizhi 水蛭). In der Akupunktur kommen u.a. zum Einsatz die Zustimmungspunkte für Leber und Niere und Punkte mit Wind ausleitender Wirkung.

Der Fragenkatalog zur Diagnostik bezieht speziell auch die Frage nach der genauen Lokalisation der Schmerzen ein, um die betroffenen Leitbahnen auszumachen. Weiter spielt die Lokalisierbarkeit der Schmerzen eine entscheidende Rolle; wandernde, nicht genau lokalisierbare Schmerzen deuten auf den pathogenen Faktor Wind hin. Je deutlicher dieser Faktor in den Vordergrund tritt, desto mehr muss die Akupunktur- oder Kräutertherapie darauf abgestimmt werden. Schmerz entsteht durch Blockaden im Fluss von Qi und Blut, Disharmonie im Zusammenspiel der Innenorgane, Disharmonie von Yin und Yang. Die Symptomatik des Rheumas ergibt sich durch Obstruktion der Leitbahnen und Netzgefäße durch Eindringen von Wind, Kälte, Nässe bei schwacher Abwehrenergie. Es wird damit ein gewisses immunologisches Defizit als ursächlich anerkannt. Diesem Defizit bemächtigen sich pathogene Faktoren als Krankheitsauslöser. Prinzipiell kommen aus chinesisch-medizinischer Sicht Vertreter aller Typen pathologischer Faktoren als Auslöser in Frage: Exogene Faktoren (Klima), Witterungseinflüsse Kälte, Wind, Nässe, Feuchtigkeit; Endogene Faktoren (Psyche), Hitze (Stress); Heterogene Faktoren (Lebensstil) Fehlernährung, Nahrungsmittel(Allergien), Biorhythmus

Als Fazit bleibt: Die chinesische Medizin ist eine sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin in der Rheumatherapie. Ihr Vorteil liegt in der Fähigkeit, die Aktivität der Antikörper zu reduzieren und eine Verbesserung der immunologischen Situation herzustellen. Eine deutliche Schmerzlinderung bringt letztlich eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität. Daneben hat die Praxis bestätigt, dass neben Gelenkschmerzen auch die Gelenkbeweglichkeit verbessert werden kann, Gelenkdeformationen und Schwellungen eingedämmt werden können, insbesondere bei regelmäßigem Durchführen der Qigong-Übungen. Einziger Wermutstropfen bleibt die Tatsache, dass eine Heilung nicht möglich ist, der Patient kurmäßig immer wieder Akupunktur und Kräutermedizin in Anspruch nehmen muss.

Andrea Mercedes Riegel schloss an ein Sprachenstudium ein Studium der Sinologie, Germanistik und Medizingeschichte an. Sie spezialisierte sich auf klassische chinesische Medizin, studierte 1989-1991 chinesische Medizin an einer privaten Fachschule in Taiwan. Auf die Promotion 1999 in Sinologie folgte 2010 die zweite in theoretischer Medizin. Sie arbeitet seit 1999 in eigener Praxis, Fachpublikationen, Übersetzungen klassischer medizinischer Texte aus dem Chinesischen in europäische Sprachen sowie Lehrtätigkeit sind weitere Betätigungsfelder.

(Angaben basieren auf dem Vortrag sowie dem Vortragsmanuskript von Andrea-Mercedes Riegel)

Hier finden Sie die Präsentationsfolien des Vortrags: 20210429_CM und Rheuma