China erklärt an 8 Zeichen: Wie man das “Reich der Mitte” mit wenigen Pinselstrichen erklären kann

Marcus Hernig, promovierter Sinologe und Germanist und seit mehr als dreißig Jahren in Shanghai lebend,  brachte am 29.9.2020 auf persönliche und unterhaltsame Weise in seinem Online-Vortrag “Wie man das „Reich der Mitte“ mit wenigen Pinselstrichen erklären kann”  Chinas Kultur anhand von acht ausgewählten Schriftzeichen näher. Er stellte die Frage, was sich dazu wohl besser eignen würde als die Schrift, denn wie kaum eine andere ist Chinas Kultur auf Schriftlichkeit gebaut. Herausgekommen ist viel Wissenswertes!

In seinem bebilderten Vortrag griff Hernig dabei auf die folgenden acht  Zeichen zurück:

歷 LI: Geschichte: Geschichte ist der Fußabdruck und der Schatten einer Kultur, in ihr steckt das Selbstverständnis – besonders wenn in der Geschichte der so wichtige Kalender der Landwirtschaft enthalten ist, auf den sich China viele Jahrhunderte gründete.

食 SHI essen: Das Essen gilt als sozialer Akt des Gemeinsamen. Essen ist das zentrale Thema chinesischer Kultur und Lebensfreude. Alle Gefühle des Menschen, Freud und Leid stehen mit dem Essen in Verbindung. Dieses Schriftzeichen erklärt vieles über die Gemeinschaftserfahrung des Genießens.

園 YUAN Garten: Der Garten ist eigentlich ein Ort der Bäume und Früchte, gleichzeitig auch der der Vögel. Hernig stellt hier eine Beziehung zum Verhältnis Mensch und Natur her.

和 HE Harmonie: Harmonie ist kein Ideal, sondern etwas Existenzielles. Harmonie existiert dann, wenn die Getreidespeicher gefüllt sind.

學 XUE Lernen: Lernen bestimmt die chinesische und die anderen ostasiatischen Gesellschaften wie kaum andere auf der Welt. Das alte Schriftzeichen erzählt uns davon.

革 GE Leder/ (Revolution):  Eine Revolution ist wie Leder herstellen, ist wie das Häuten eines Tieres: radikal und das Ende für das, was einmal war. So haben sich auch in China mehrere Revolutionen zugetragen, Hernig spricht von drei, wenn nicht vier Revolutionen, politischen wie kulturellen.

商 SHANG Handel: Der Handel verbindet das „Äußere mit dem Inneren“, bringt Dinge in Bewegung und schafft sie zu denen, die konsumieren. Die Shang waren dazu eine der ältesten Dynastien – auf Außenhandel baut die chinesische Politik.

機 JI Maschine: Der Webstuhl war eine der ersten Maschinen auf dem Weg zur Industrialisierung. Maschinen bieten Chancen (機會), sind die Chance in der Krise (危機 ). Die Maschine treibt das moderne China bis zur künstlichen Intelligenz.

Hernig verfolgte in seinem Vortrag einen sehr persönlichen Ansatz: Mitdenken, Mitempfinden und Nachvollziehen waren gefragt. Acht ist die chinesische Glückszahl, so dass acht Zeichen eine glückliche Form darstellen, um China aus ungewöhnlicher Perspektive zu betrachten.

Der Vortrag fand in Kooperation mit der China Initiative Heidelberg statt.

 

Dr. Marcus Hernig, Sinologe und Germanist, Dozent, Autor und Berater, lebt in Shanghai seit 1992 und pendelt seit nun bald drei Jahrzehnten zwischen Deutschland und China. Er ist Autor verschiedener China-Bücher und zahlreicher Artikel zu aktuellen Chinathemen, hat langjährige Erfahrung in der Vermittlung von Fremdsprachen und Chinakompetenz und war viele Jahre tätig für chinesisch-deutsche Austausch- und Kooperationsprogramme bei deutschen Mittlerorganisationen. In führender Position war er am Goethe-Institut Shanghai u.a. zuständig für Sprache, Literatur und Bildungskooperationen und Direktor am Goethe- Institut in Kyoto. Marcus Hernig lehrt als Professor sowie Lehrbeauftragter an der TU Shanghai (USST), der Tongji-Universität Shanghai und der TU Berlin Chinakompetenz.

Moderation: Heidi Marweg, Konfuzius-Institut Heidelberg und Dr. Elisabeth Bach, China- Initiative e. V. Heidelberg